FRITZ HARTMANN „EIN LANGER, LANGER BLEISTIFT“

Es war einmal ein Bleistift. Ein ganz besonderer. Jeder andere Bleistift wird durch das Schreiben und Spitzen immer kleiner. Am Ende ist er dann nur noch ein kleiner Stummel, den man achtlos fortwirft. Aber unser Bleistift, der ganz besondere, der wurde immer länger. So viel man ihn auch spitzte: er wuchs in die Länge.

Am Anfang war das ganz schön. Man sparte dabei. Aber als der Bleistift durch den Schulranzen stieß, wurde es schon schlimmer. Und als er eines Tages durchs Fenster fuhr und auf dem gegenüberliegenden Dach die Fernseh-Antenne des Nachbarn aufspießte, da war es ganz schlimm. Vater sagte: „Das ist doch keine Schwierigkeit, den Bleistift abzubrechen.“ Aber er schaffte es nicht. Und der Nachbar, der starke Nachbar auch nicht. Die Feuerwehr stand machtlos da. Ein Hubschrauber versuchte vergebens den langen Bleistift umzufliegen.

Der Bleistift fühlte sich wohl, als sich so viele Leute um ihn kümmerten. Und je mehr Menschen sich um ihn kümmerten, desto länger wurde er. Viele kamen, um das Bleistiftwunder zu sehen. Allmählich jedoch wurde die Sache langweilig. Es war ja nur ein Bleistift, ein furchtbar langer zwar, aber niemand konnte damit etwas anfangen. Ja, nicht einmal schreiben konnte man damit. Selber zu schreiben: dazu war der Bleistift viel zu faul.

Als das Interesse immer mehr nachließ, ja gänzlich erlosch, zog es der Bleistift vor, wieder ganz normal zu werden. Über Nacht, damit es niemand sah, schrumpfte er zusammen. ließ am anderen Tag sogar mit sich schreiben, als wäre nichts gewesen. Als man ihn spitzte, wurde er kleiner und kleiner. Und er ging seinen Weg wie andere Bleistifte auch: man warf den Stummel achtlos weg.